23.






Auszug aus den Akten von Laura Richie

Nachdem alle vorbereitenden Untersuchungen erfolgt waren, stellte Brewster Moore einen Zeitplan für Mary Jane auf. Er schlug ihr die anderen Ärzte vor, die die Operationen an ihrem Bauch, ihrem Gesäß und ihrer Brust vornehmen sollten. Er versprach ihr, deren Arbeiten stets mitzuverfolgen. Mit vielen arbeitete er ohnehin häufig in der Klinik zusammen, die er für mittellose Kinder gegründet hatte.

»Ist das nicht eine sehr deprimierende Tätigkeit?« fragte Mary Jane.

»Weniger deprimierend, als ein Gespräch mit einer Dame der gehobenen Gesellschaft zu führen, die sich ihr Gesicht bereits zum drittenmal liften lassen will. Möchten Sie einmal die andere Seite meiner beruflichen Tätigkeit sehen?«

Mary Jane entging der Vorwurf in Moores Stimme nicht, und so nahm sie die Einladung an. Seit sie Moore vor Wochen kennengelernt hatte, sprach er nun zum erstenmal über sich und seine persönlichen Interessen. Die Kälte der Ärzte war Mary Jane ja vertraut. Doch Moore glich den anderen nicht. Er trat mit der gleichen Selbstsicherheit auf wie alle anderen Ärzte, die sie kannte. Doch darüber hinaus verhielt er sich zwar förmlich und reserviert, aber immer auch mitfühlend.

Bei dein Rundgang lernte Mary Jane den Arzt erst richtig kennen. Seine Klinik lag ihm mehr am Herzen als alles andere. Aus der ganzen Welt wurden ihm Kinder gebracht, die mit so entsetzlichen, so grauenvollen Missbildungen zur Welt gekommen waren, daß die Eltern sie aussetzten, weil sie ihnen keine Überlebenschance gaben. »Das kann man auch verstehen«, entschuldigte Brewster Moore die Eltern sachlich. »Wir haben uns daran gewöhnt, daß ein Baby lächelt und reagieren darauf. Doch manchen dieser Kinder fehlt der Mund, mit dem sie lächeln könnten. Auch gebildete Eltern können sich nur schwer mit solchen Problemen abfinden. Da können Sie sich denken, wie ein Bauer in Peru das sieht.«

Moore stellte sie Winthrop vor, einem kanadischen Jungen, dessen Eltern beim Absturz eines Privatflugzeugs umgekommen waren. Nur er hatte überlebt, wenn auch bis zur Unkenntlichkeit von Verbrennungen entstellt. Inzwischen hatte er ein neues Gesicht, das aus Hautübertragungen von seinem Rücken und seinen Oberschenkeln entstanden war.

Hilda, ein blondes dreijähriges Mädchen, wurde einen Tag nach ihrer Geburt auf den Stufen einer Kirche gefunden. Seit sie in die Klinik gebracht worden war, hatte man ihre Hasenscharte zwar beseitigt, doch sie brauchte noch eine Nase.

Raoul, zwölf Jahre alt, stammte aus Honduras. Er konnte sich nur mit seinen strahlenden Augen und den geschickten, ungemein aussagestarken Zeichnungen verständigen, da er ohne Zunge und Unterkiefer geboren wurde.

Die Ausstattung der Krankenstation entsprach dem modernsten Standard. Der Operationssaal galt als musterhaft für das ganze Land. »Wie können Sie das nur alles bezahlen?« wunderte Mary Jane sich, angesichts der Apparaturen und Geräte und des vielen Personals.

»Wir erhalten gewisse Unterstützungszahlungen vom Staat, viele private Spenden, und der Rest wird aus meinen Einnahmen finanziert. Ich nehme an sehr reichen und einflussreichen Persönlichkeiten kosmetische Operationen vor.« Er lächelte. »Damit kann ich vielen helfen.«

»Nun fühle ich mich noch schäbiger«, meinte Mary Jane.

Er blieb mitten im Gang stehen. »Das sollten sie nicht. Machen Sie sich von puritanischen Vorstellungen, wie denen der schicksalhaften Vorbestimmung, frei oder den überholten Moraltheorien, wonach Äußerlichkeiten mit Eitelkeiten gleichzusetzen sind. Manches hat sich nämlich seit Urzeiten nicht geändert. Ihr Gesicht ist Ihr Vermögen. Diese Kinder können das bezeugen.«

Mary Jane vertraute Brewster Moore bedingungslos. Das sagte sie sich immer wieder. Außerdem war sie Krankenschwester und kannte Krankenhäuser seit Jahren von innen. Dennoch verspürte sie grenzenlose Nervosität vor dem ersten »Verfahren«, wie Miss Hennessey das auszudrücken beliebte.

Denn Patientin war Mary Jane nie gewesen. Seit ihrer Geburt hatte sie sich einer robusten Gesundheit erfreut.

Die erste Operation erschien ihr wie ein Alptraum. Sie wurde in ihrem Bett endlose Gänge entlanggefahren. Im Fahrstuhl starrten sie die Besucher an, die mit Blumen und Geschenken ihre Verwandten und Angehörigen oder Freunde besuchten. Die Hilfskraft, die Mary Janes Bett schob, ging mit ihm um wie mit einem Einkaufswagen im Supermarkt. Sie blieb immer wieder stehen und schwatzte mit Kolleginnen. So atmete Mary Jane auf, als sie den Operationsbereich erreichten.

Wäre es nicht um eine Operation gegangen, der Mary Jane sich freiwillig unterzog, sondern um eine lebensrettende, hätte sie vielleicht weniger unter der Gefühllosigkeit des Hilfspersonals gelitten. Doch so spürte sie deutlich Verachtung und Missgunst, die einem Menschen galten, der Geld genug besaß, um sich Schönheitsoperationen zu unterziehen.

Mary Jane hatte achtunddreißig Pfund verloren. Ihr Bauchansatz war verschwunden. Doch nun hing die Bauchdecke schlapp und faltig herunter. Das sollte die Operation beheben. Es war eine verhältnismäßig schwere Operation. Dr. Moore hatte entschieden, daß sie als erstes erfolgen sollte, damit Mary Jane genügend Zeit blieb, sich zu erholen.

Brewster Moore hatte ihr gesagt: »Sie haben so viel Gewicht verloren, wie nötig war, müssen das aber nun auch halten..«

»Aber ich sehe entsetzlich aus.« Sie hob die Arme. Die lose Haut flatterte an ihr herum.

»Fledermausarme sind typisch. Da hilft auch keine Diät. Jetzt müssen Fettentfernung, Chirurgie und Bewegung den Rest bringen. Ihre Bauchmuskulatur muß gestrafft werden. Wir werden also Ihre Muskeln verkürzen und die überflüssige Haut entfernen.«

»Was ist mit meinem Nabel?«

»Der wird herausgeschnitten. Machen Sie sich nicht die geringsten Sorgen. Ich überwache alles. Silverman wird Ihnen einen hübschen neuen Nabel verpassen.«

Die Operation erforderte sieben bis zehn Tage Krankenhausaufenthalt und begann um halb acht Uhr an einem grauen Donnerstagmorgen. Erst die Spritzen befreiten Mary Jane von ihrer Nervosität und dem Gefühl von Scham. Wie aus weiter Ferne hörte sie Dr. Moores Stimme. Er erkundigte sich nach ihrem Befinden. Der Chirurg war Dr. Bob Silverman, Dr. Moore hierbei nur sein Assistent.

Von allem anderen bekam Mary Jane nicht viel mit. Als sie nach der Operation aufwachte, fühlte sich ihre Zunge wie Schmirgelpapier an. Sie litt unter heftigsten Bauchschmerzen, konnte nicht sprechen, nicht einmal weinen. Die geringste Bewegung vermehrte die Schmerzen. Sie wimmerte nur. Die Schnitte in ihrem Unterleib brannten. Irgendwann umfing sie Bewußtlosigkeit.

Als sie erwachte, spürte sie die Schmerzen noch immer. Doch sie konnte so klar denken, daß sie wußte, man werde ihr dagegen bald etwas geben.

Eine Schwester erschien. Mary Jane brachte schließlich mühsam heraus: »Wasser!« Kurz darauf fühlte Mary Jane den Einstich. Die Schmerzen wichen. Bevor wohltuender Schlaf sie umfing, dachte sie noch, daß sie nun acht weitere Operationen überstehen mußte.

In der Folgezeit litt Mary Jane unter den juckenden Wunden. Doch nachdem die Verbände abgenommen worden waren, hatte sie einen Bauch wie ein Teenager. Das konnte sie kaum fassen. So glatt und fest! Sie vergaß die Schmerzen, die Kosten. Interessiert betrachtete sie ihren brandneuen Nabel.

Die Brustoperation fand Mary Jane am schlimmsten, obwohl Brewster Moore ihr versicherte, daß der Heilungsprozeß weniger schmerzhaft sein würde als bei der Bauchoperation. »Bei der Brust reduzieren wir keine Muskeln, nur Fett. Sie haben genügend Brustgewebe. Es ist nur zu tief an der Brustwand angewachsen. Dr. Wright wird eine neue Hauttasche formen, höher als bisher, wird sie mit Gewebe füllen und die Warzen wieder zentral einsetzen.«

»Heißt das, daß Sie mir die Brustwarzen abschneiden?«

»Ja. Ich nahm an, das sei Ihnen klar. Das hätte Ihnen eigentlich Frau Dr. Wright bei der Vorbesprechung sagen müssen.« Dr. Moore seufzte. »Doch die Narben werden fast vollständig von dem Warzenvorhof verdeckt werden.«

Übelkeit stieg in Mary Jane hoch. »Wenn sie wiedereingesetzt werden, werde ich sie dann noch fühlen?« fragte sie unglücklich und verlegen zugleich.

»Ja. Natürlich könnten Sie nicht stillen. Doch das Gefühl kehrt mitunter zurück. Meiner Überzeugung nach erholen sich die Nerven. Das ist selbstverständlich ein wichtiger Aspekt. Ich bin davon ausgegangen, daß Sie darüber Bescheid wissen. Sie müssen selbst entscheiden, ob Ihnen das Opfer die Sache wert ist. Manche Frauen haben sogar vermehrtes sexuelles Vergnügen nach der Operation verspürt, weil sie auf ihr Aussehen so stolz sind. Das Gehirn spielt eine wesentliche Rolle. Es ist sozusagen das wichtigste sexuelle Organ.«

»Sie operieren nicht mein Gehirn, Doktor.«

»Das ist mir klar. Ich hoffe, Sie wissen auch, wie ich den Mut bewundere, den Sie gezeigt haben.«

»Die Kinder wie Raoul und Winthrop, die die Hälfte ihres Gesichts durch Krankheit oder Unfall eingebüßt haben, sind die vor denen ich Respekt habe. Aber ich danke Ihnen trotz­ dem, Doktor.«

Die schoenen Hyaenen
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